
Das integrale Framework nach Ken Wilber
Das Ganze ist mehr als die Summe der Einzelteile.
Das kleinste uns bekannte Holon ist das Elemtarteilchen (Quarks, Lepton, Boson). Das größte ist der Kosmos selbst. Holon könnte man mit "Ganzheit" übersetzen. Die höhere Ganzheit schließt die kleineren Ganzheiten immer mit ein.
Alle für uns Menschen relevante Erscheinungen kann man in vier Quadranten einteilen: links oben (innen, singular), rechts oben (außen singular), links unten (innen plural) und rechts unten (außen plural). Das ist wichtig um zu wissen worüber man eigentlich spricht: Psychologie z.B. ist links oben (subjektiv, singular), Soziologie links unten, das nach außen sichtbare Verhalten ist rechts oben, die Struktur der Gesellschaft ist rechts unten (objektiv,plural)
Entwicklungslinien des Individuums sind die verschiedenen Kompetenzen, die man im Laufe des Lebens erwirbt: Klavierspielen, mathematische Bildung, Fussballspielen, moralische Entwicklung, Ausbildung, etc. Eine Fußballmannschaft entwickelt ihre Linie als Gruppe.
Transzendieren bedeutet, dass bei einer Weiterentwicklung der eigenen Weltsicht das Alte nicht als irrelevalt verworfen wird, sondern mit einer neuen Perspektive auf höherem Niveau integriert wird.
Ja, es gibt eine zentrale Richtung der Entwicklung im Kosmos: von einfach zu komplex.
Ja, es gibt eine geistige Entwicklungsrichtung hin zu mehr Komplexität und Tiefe. Unsere Lebenswelt wird immer komplexer, unser Wissen immer größer. Parallel entwickelt sich im besten Fall auch eine immer komplexere und tiefere Einsichtsfähigkeit.
Rationalität, also die Fähigkeit logisch zu denken, ist eine zentrale menschliche Fähigkeit. Mit ihr ist es möglich, vom Allgemeinen zum Speziellen zu denken (Deduktion) und vom Speziellen zum Allgemeinen (Synthese). Rationalität ist abhängig von der Struktur und der Ordnung im vorhandenen Wissen. Diese Struktur ist aber nicht so einfach ersichtlich (man könnte sie mit der Grammatik einer Sprache vergleichen) und entwickelt sich. Die Menschen vor 2000 Jahren war nicht dümmer als wir, sie hatten aber eine andere geistige Struktur und Ordnung ihrer Lebenswirklichkeit.
Die Rationalität ist für jede Einzelpersonen oder Gruppen von Menschen individuell, ganz egal, ob es sich um ein Dorf oder um eine Nation handelt, und doch folgt die innere Rationalität einer Struktur, die man untersuchen und beschreiben kann. Die umfassendste Beschreibung dieser inneren Struktur der Rationalität liefert m.E. die Spiral-Dynamik, die ursprünglich von Clare Graves entwickelt wurde und so auch bei Ken Wilber verwendet wird.
Die verschiedenen Entwicklungsstufen der Rationalität werden der Einfachheit halber mit Farben beschrieben: eine Gruppe von Neandertalern hätten z.B. das Niveau "Beige", ein Stadtstaat mit verbindlicher Religion das Niveau "blau" und eine kapitalistische Industriegesellschaft das Niveau "orange" und so weiter...Es werden folgende Niveaus geführt: beige, magenta, rot, blau, orange, grün, gelb und türkis.(Für weitere Einzelheiten siehe Spiral Dynamics bei Wikipedia oder anderswo.)
Im Gegensatz zur Rationalität, die der logischen Analyse zugänglich ist, ist die Spiritualität nur erlebbar. Man kann sich durch Techniken wie Atmen und ruhig sitzen einen meditativen Zustand nähern, das tatsächliche Erleben dieses Zustandes ist aber ganz individuell und nicht rational beschreibbar. Alle Beschreibungen, die sich auf die Spiritualität beziehen, sind zu verstehen als Wegweiser, können das Eigentliche aber nicht beschreiben.
Auch die spirituelle Entwicklung kann man in Ebenen unterteilen, Ken Wilber nutzt die Ebenen grobstofflich, subtil, kausal und Nondual.
Der Kern der Spiritualität liegt darin, ganz im Jetzt zu sein und, gleichsam aus der Perspektive eines Betrachters, sich selbst beim Denken, Fühlen, Reagieren und Handeln zuzusehen, ohne direkt in Wertung zu verfallen oder das Erleben an Vergangenem zu messen oder für die Zukunft zu bewerten. Je weniger Strukturen und Konzepte man in diesem Zustand braucht, um das Jetzt zu erleben, desto tiefer beziehungsweise weiter ist die Meditation.
Dabei handelt es sich essentiell nicht um einen Moment, welcher nach der Meditation wieder vorbei ist, sondern um ein Mindset, das zunehmend das ganze Leben beeinflusst und trägt.
Es ist auch nicht so, dass man irgendwann einfach erleuchtet ist und alles ist gut. Das geistige Erwachen einer Person ist graduell, und es gibt Vor- und Rückschritte, und die Herausforderungen ändern sich mit dem Niveau der geistigen Tiefe.
Erwachsen werden/sein ist m.E. entscheidend im meditativen Bereich angesiedelt:
Ich vergleiche es gerne mit einem Seifenkisten-Rennwagen: als junger Mensch ist man ganz vorne im Cockpit, mit der Nase an der Scheibe. Jede Kurve nimmt das ganze Wesen und die ganze Aufmerksamkeit total in Beschlag.
Später gesellt sich zu dem Kleinen ein weiterer Mitfahrer, der weiter hinten sitzt. Er ist auch involviert, hat aber schon mehr Überblick. Mit der Zeit kommen noch ein, zwei, drei weitere Personen hinzu. Der Hinterste hat den ganzen Parcours im Kopf, kennt das Wetter, Bezinstand, die Position anderer Seifenkisten-Rennwägen, den Status der Reparaturen, den Zustand der Piste, die Positionen der Zuschauer und so weiter.
Mit Verantwortung tragen, eine Familie zu haben, im Beruf zu stehen oder würdevoll zu laufen hat Erwachsensein gar nichts zu tun.
Man/Frau könnte es vielleicht so sagen: je höher und komplexer die rational-geistige Entwicklung fortgeschritten ist bei gleichzeitiger Tiefe des spirituellen Erlebens, desto adäquater und ganzheitlicher kann eine Person handeln und reagieren.
Die spirituelle Entwicklungskurve entspricht der Höhe des Aussichtsturms und wie weit man gucken kann. Die rationale Entwicklungskurve entspricht dem Weitwinkel und der Färbung der Linse des Fernglases. Oder umgekehrt.
Wirklich fortschrittliche Geister haben ein hohes Niveau in beiden Bereichen. Beide Bereiche beeinflussen sich gegenseitig: fehlt das eine so wird auch das andere irgendwann stagnieren und werden zunehmend tiefgreifende Fehler im Denken, Fühlen und Handeln auftreten.
Zur Wiederholung: die verschiedenen Entwicklungsstufen der Rationalität und Einsicht werden folgendermaßen unterteilt:
Jede Stufe transzendiert die vorherige, inkorporiert sie sozusagen und ist gegenüber der nächsthöheren Stufe zunächst blind. Die Stufen schließen sich gegenseitig aus, und diese Stufenkonkurrenz ist der Kern des Kulturkampfes, der überall beobachtet werden kann.
Blau ist die am weitesten verbreitete Stufe: Kern ist das denken in Kategorien wie schwarz/weiß, gut/böse, Himmel/Hölle, fü mich/gegen mich und so weiter.
Ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen kann in einer bestimmten Situation unterschiedlich "gefärbte" Positionen einnehmen, ist aber begrenzt durch die höchste Entwicklungsstufe.
In dieser blauen Entwicklungsstufe ist Christentum und Isalam fundamental dasgleiche (!), da die Struktur des Denkens (hierarchisch, richtig/falsch) auf denselben "blauen" Prinzipien beruht. Auch der Verwaltungsapparat, die Polizei, das Militär etc. entstammen demselben Denkmuster. Aufgepaßt: hier geht es um die grundsätzliche Struktur des Denkens, nicht die Ausprägung im Einzelnen.
Wilber vermutet, dass es einer gewissen kritischen Größe bedarf, damit eine Stufe in der Gesellschaft an Einfluss gewinnen kann, z.B. 10% der Bevölkerung.
Wir stehen als politische Nation gerade an dem Übergang zwischen grün und gelb. In der Übergangszeit kommt es meist zu Verwerfungen und alle Kräfte, die aus irgendeinem Grund nicht die Ressourcen haben um den Übergang zu vollziehen, sperren sich oder gehen in die Regression: vermeintlich alte, bewährte Methoden, Gedanken, Traditionen. Dies ist gegenwärtig überall zu erkennen: AfD, Trump, Orban, Meloni, Konservatismus, Schamanismus, Fundamentalismus etc.
An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass der Übergang von grün nach gelb einen fundamentalen Quantensprung bedeuten wird, da die Menschheit dann zum ersten Mal die Zonen des Kulturkampfes und der Ausschließlichkeit der Ideen wirklich verlassen kann.
Auf unserem Weg vom Kleinkind zum Erwachsenen gelingt der Übergang von einer Entwicklungsstufe zur nächsten unterschiedlich gut. Wenn unser Gehirn neue Entwicklungen oder Emotionen nicht integrieren kann, dann wird an dieser Stelle quasi pausiert und es wird "um diese Stelle herum gebaut." Das gelingt unterschiedich gut. Dieser Prozeß wird von dem Neurowissenschaflter Gerald Hüther als "Verwicklung" bezeichnet und bedarf in unserem Erwachsenen Ich eines Aufarbeitungsprozesses, den er dann als "Entwicklung" bezeichnet. Erst bei einer ausreichenden "Entwicklung" kann die "Entfaltung" erfolgen. Alles davor reicht zwar aus, um das Leben zu bewältigen und eventuell auch einigermaßen glücklich zu sein, aber das volle Potential wird erst mit der "Entfaltung" erreicht. Die Gruppe solcher "entfalteten" Menschen darf gerne größer werden.
Traumata sind ein Spezialfall, weil für den Bereich der traumarelevanten Situation das Gehirn nicht mehr anpassungsfähig ist, entweder durch Übersteuerung (Kampf oder Flucht) oder Untersteuerung (Abschaltung/freeze/Erstarrung) oder Dissoziation.
Es besteht deshalb Grund zur Hoffnung für die Menschheit, weil erstmals weltweit mehrere Neuerungen zusammenkommen:
Dass das ganze mit Gefahren verbunden ist dürfte klar sein, aber die Chancen sind riesig und die Richtung im Universum hin zu mehr Komplexität und Inklusion ist im Grundkonzept dieses Kosmos verbacken. Wir Menschen glauben häufig, der status quo wäre "die Normalität". Das liegt aber nur an der Kürze unseres Lebens. Wir befinden uns in einem offenen evolutionären Prozess, bei dem die konstruktiven Elemente auf lange Sicht IMMER die Oberhand behalten werden! Ausser die Welt geht unter.